6.-13.8.2023, Mennoniten

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Premiere, wir sind die einzigen am Grenzposten
Bozo Hondo. In weniger als 30 Minuten Formalitäten klatschen wir uns ab, Paraguay wir kommen.

Was als erstes auffällt: Bozo Hondo hat nur ein paar Häuser, die Strasse ist echt Scheisse, die Menschen sprechen unglaublich schnell Spanisch, wir sehen keine Tiere, es ist flach. 

Waaaas? Das ist die Ruta Nacional Corredor Bioceánico nach Filadelfia? Wir drehen nach den ersten 3 Kilometern um, zurück zum Ausgangspunkt! Wir fragen nach, die Antwort:  „Egal welche Piste ihr wählt, für die 230 km braucht ihr ca. 15 Stunden Fahrzeit.“ „Im Ernst?“ „Si, en serio!“ Es gibt eine Alternative. Nach 65 km links abbiegen und weitere 45 km schlechte Piste zur Grenze nach Bolivien fahren, ab dort ist die Strasse nach Filadelfia asphaltiert. Umweg: 150 km. Jetzt bleibt selbst der Resi die Spucke im Mund kleben.

Kopf runter und durch! Wir wühlen uns durch Feinstaub, Sand, Gräben, Löcher, Furchen und Wellblech. Wernis Laune rutscht pro gefahrenen Kilometer tiefer in den Keller, ich versuche ihn mit Humor ein paar Stufen hochzuziehen. Heimlich zähle ich jeden einzelnen der 110 Kilometer ab und sie reduzieren sich verdammt langsam. Aussentemperatur 39 Grad, Innentemperatur übellaunig.

Am Militärposten vorbei erreichen wir nach Stunden die allerbeste, arschglatte, flüsternde Asphaltstrasse nach Osten, geschafft! Eine Vielzahl an wunderschönen Flaschenbäumen unterbrechen die flache Savannenlandschaft, es ist heiss.

Der Hauptstrasse entlang ist alles gezäumt, kein schöner Freistehplatz in Sicht, da bleibt nur die Tankstelle zum Übernachten. Zwischen den Brummis (was führen die Chauffeure doch für ein einsames Leben) Abfall, lauter Musik und Mücken nisten wir uns ein. Die Ohren auf Empfang geschaltet finde ich kaum Ruhe. Macht nichts, das spannende Buch „Hinter dem Horizont links“ von Christopher Many verkürzt mir die Nacht.

Rosaleda, das Dorf im wilden Chaco Gebiet, ist Heimat von heute 25 CH Auswanderern die vor 26 Jahren ihr Glück in der Ferne suchen. Einige sind geblieben, andere sind weiter gezogen. „Die grüne Hölle“ wird der Chaco auch genannt und wir fragen uns, wie um alles in der Welt dieser Platz freiwillig als Wohnort gewählt werden kann?

Ernst‘s blühender Garten inmitten von Trockenheit. 

Im Rosaleda Resort campen wir, die CH Besitzer sind leider nicht hier. Das nette Restaurant ist Treffpunkt der Auswanderer. Am Stammtisch wird Schweizerdeutsch gesprochen, es gibt Zapfbier aus München und sehr leckere Pizza.

Ernst Roth kommt auf ein Bier vorbei. „Kommt mich doch besuchen,“ lädt er uns in breitem Berner Dialek ein. Er produziert Honig und fügt Urtinkturen aus Kräutern bei. So gibt es Honig gegen Bluthochdruck, Arthrose, Depressionen, Energieverlust  usw.

Filadelfia bedeutet Bruderliebe und alleine in der 20’000 Einwohner-Stadt leben 4500 deutschstämmige Mennoniten beziehungsweise Russlandmennoniten deren Muttersprache „Plautdietsch“ ist.

Der Supermarkt hat europäischen Standard. Die Schulen sind zweisprachig, Deutsch/Spanisch. Die Mehrheit der Bevölkerung besteht aus indianischen Stammesgruppen, sie profitieren von der Deutschen Reinlichkeit. Viehzucht für die Fleisch- und Milchproduktion ist die Haupteinnahmequelle. Innerhalb der Kooperation „Fernheim“ haben sie die Landwirtschaft, Krankenkasse, Glaubensgemeinschaft, Sicherheit und vieles mehr organisiert. 

Die konservativen, alternativen Ansichten der Mennoniten als evangelische Freikirche der Täuferbewegung passen nicht ins Schema der europäischen Kirche. Man zwingt sie zur Flucht in die entlegensten Winkel der Welt. Ihre Werte: Erwachsenentaufe, sie lehnen Steuern, Waffen und Krieg ab, kein Internet, Handy, TV, Radio, Alkohol, Rauchwaren, keine Reissverschlüsse an Kleidern, keine Gummiräder usw. Die streng nach diesen Regeln Lebenden finden wir in Filadelfia nicht. Die Zeit bringt auch hier Veränderung.

Wir lassen uns die interessante Geschichte der Mennoniten im Museum erzählen, auf Deutsch natürlich, füllen unsere Vorräte auf und suchen den Weg spielerisch durchs Labyrinth.

2 Tage Filadelfia reichen. Es ist interessant und befremdlich zugleich all die Blondschöpfe unter den Indios zu sehen. Im Camp Harmony of Wilderness trauen wir unseren Augen nicht, 10 Kinder hat das junge deutsche Paar, eines hübscher als das Andere mit Eltern die kein Gramm Fett an sich haben. Was für eine Aufgabe sie zu füttern, zu kleiden, zu schulen usw. Und was passiert mit Mutters Energie wenn alle zusammen krank sind?

An der Lagune Capitan finden wir den ersten schönen Campingplatz. Wir sind alleine hier, die Farm ist riesig, mehrere hundert Kühe, Rinder und Stiere suchen Schatten unter Bäumen. Wir bekommen Einblick in eine weitere Mennoniten Familie.

Die Lagune ist ausgetrocknet, sieht doch fast aus wie Sossusvlei in Namibia?

Tapire sehen wir keine, dafür viele Vögel und diesen wunderschönen Sonnenuntergang.

Der Chacokrieg zwischen Paraguay und Bolivien (involviert sind auch Argentinien und Chile) zwischen 1932 und 1935 ist einer der schrecklichsten Kriege in Südamerika. Waffenlieferung aus Europa macht das Gemetzel in dem Ausmass erst möglich. Europa hofft auf erhebliche Bodenschätze. Der brutale Krieg endete mit einem Waffenstillstand, 1938 wird der Friedensvertrag unterzeichnet, Paraguay wird der grösste Teils des umstrittenen Gebietes zugesprochen.

Ob dieses Auto bei unserer Motorfahrzeugkontrolle durchkäme? 

 

Paraguay ist kein Land des Tourismus. Als Flachland zieht eine eintönige Landschaft an uns vorbei und wäre da nicht die Kultur der Mennoniten und die wunderschönen Flaschenbäume, könnte man das Land im Eilzug durchfahren.

 

Fazit der Woche: Paraguay erobert unsere Herzen nicht wirklich.

 

Gefahrene Wochenroute

 

 

 

Ein Kommentar zu „6.-13.8.2023, Mennoniten

  1. Da wäre ich mit meinem Plattdeutsch am richtigen Ort. Mein Geburtsort Norden in Ostfriesland hat eine Mennonitische Kirche und Gemeinde. Zum Glück waren meine Eltern standfeste Calvinisten und Lutheraner. Ich suche immer noch wozu ich gehöre. Warscheinlich nichts von allem und trotzdem gläubig. Alles Gute. Bei uns ist es auch heiss. Wolfgang

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