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Jubii, der 3. Tag in Folge schönes Wetter.
Jetzt werden wir ja richtig verwöhnt! Bänzli glänzt, innen wie aussen, da könnte doch glatt ein Putzmittel Gloorioso heissen.
Nachdem wir die Schweizer Speisekarte von Fondue über Röschti, Bratwurst über Knöpfli durchgeschlemmt haben, fahren wir 4 Tage später mit mehr Bauchfett und ausgeruht weiter.
Es ist eine A nach B Fahrt, von Malalcahuello nach Concepción. Autobahn, stark befahrene Landstrasse, abgebrannte Wälder – ich knipse kein einziges Foto. Halt, stimmt nicht.
In Collipulli steht das Malleco Viadukt, eine imposante Eisenbahnbrücke. Sie gilt als eines der grössten Werke der Metalltechnik. Teils in Frankreich produziert, Schneider et Cie., Creusot, beginnt der Bau 1886.
Am 26. Oktober 1890 wird sie von Präsident José Manuel Balmaceda feierlich eröffnet. Sie ist damals die höchste Eisenbahnbrücke der Welt. Sie steht auf der UNESCO Warteliste.
Die Mine „El Chiflón del Diablo“ in Lota liegt 850 Meter tief unter dem Pazifischen Ozean. Durch ihrer Neigung ist sie eine der wenigen Minen mit natürlicher Belüftung. Das verbessert aber die Arbeitsbedingungen der Untertags-Arbeitenden nicht. 1852 eröffnet, erreicht man zu besten Zeiten mit 1500 Bergleuten eine Spitzenproduktion von 250 Tonnen Kohle pro Tag.
Daniel macht eine Führung mit uns, sein Grossvater und Vater haben hier gearbeitet, 10 Stunden am Tag, 35 Jahre lang. Er spricht langsam und deutlich so dass wir doch einiges verstehen.
Die teuflischen Bedingungen und Geschichten sind in einem Buch und Film „Subterra“ vom Autor Baldomero Lillo festgehalten und verarbeitet. Er schreibt:
“Die Galerie des Chiflón del Diablo“ hatte einen unheimlichen Ruf. Anfänglich wurde die erforderliche Sorgfalt, was die Sicherheit der Arbeiter betrifft, eingehalten. Doch die Tunnels wurden immer tiefer, das Gestein porös. Es wurde an Holz zur Stützung der Stollen gespart.“
Von Generation zu Generation erzählt man sich Geschichten vom Teufel, der angeblich in der Mine lebt als Gestalt mit Hufen, haarigen Armen, langem Schwanz und weissen Augen. Der Teufel ist verantwortlich für Unfälle und Unheil. Bei einem Stolleneinbruch verliert ein Arbeiter sein Bein das nie unter den Trümmern gefunden wird. An Feier- und Sonntagen soll das Bein bis heute im Stollen tanzen.
Die Besitzerfamilie Cousiño ist, so beschrieben, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen der ihnen viel Geld, den Mineuren Leid, krumme Rücken und schlechter Verdienste bringt.
Wir sehen das tanzende Bein und auch den Teufel nicht, dafür können wir beim Besuch der Mine, des Musterdorfes und Museums den harten Alltag der Minenarbeiter erahnen.
Die Kultur überlebt trotz Schliessung 1976. Die Bergbau Geschichten vom Autor Baldomero Lillo gehören zur Pflichtlektüren des chilenischen Schulunterrichts.
Die Familie Cousiño, die 1852 mit der Ausbeutung der Kohleminen von Lota beginnt, ist auch die Erbauerin des Parks Isidora Cousiño. Der 14 Hektar grosse Park wird zwischen 1862 und 1872 von dem englischen Landschaftsarchitekten Bartlet entworfen, nach dem Vorbild französischer Gärten.
Pflanzenarten und Bäume aus der ganzen Welt sind hier liebevoll angelegt. Mehrere Pavillons, Skulpturen, Brunnen, und Vasen sind Teile des Parks. Von hier aus kann man die Küste des Golfs von Arauco, den Hafen und die alten Bergbauanlagen von Lota sehen.
1929 wird der Park von der Compañía Carbonífera de Lota erworben und für jedermann zugänglich gemacht. Er ist trotz der welkenden Herbstzeit wunderschön und gepflegt. Wie schön muss er erst im Frühling sein! Seit 1998 läuft das Gesuch, den Isidora-Cousiño-Park und den Chiflón del Diablo in Lota als Weltkulturerbe anzuerkennen.
Das Vorstadt Dorf Lota hat ein ganz besonderes Flair das wir bis jetzt noch in keinem chilenischen Städtchen so erlebt haben. Es pulsiert, bunte kleine Häuser kleben an Hügeln, hier wohnt die einstige Arbeiterschicht. Die schöne Lage am Pazifik lassen jetzt Hochhäuser an bester Lage entstehen.
Chileninen servieren in bayrischen Dirndel, aus den Lautsprechern ertönt die Dolanes Melodie, die Möbel sehen wie in einem Altersheim aus das dringend renoviert werden muss, alles ist altbacken und sehr bayrisch. Wir sind im Vergnügungspark des Restaurants Baviera.
Heute kommen ausschliesslich chilenische Familien hierher um zu feiern. Wir schauen uns den Ort ausgiebig an und fahren dann zum gleichnamigen Hotel, 110 km nördlich.
Das Hotel Baviera mit seinen 16 000 Hektar ist ein landwirtschaftlicher Grossbetrieb mit Hotellerie, Restaurant, Bäckerei, Metzgerei, Gärtnerei, Shops, Privathäusern usw. ….und…
….es war und ist der Heimatort der ehemaligen Gemeinschaft Colonia Dignidad mit seinem Führer Paul Schäfer.
Paul Schäfer, mit Jahrgang 1921, ist zweifellos ein deutscher Pädokrimineller der sein Unwesen in Deutschland und Chile treibt. Er stirbt 2010 in einem Gefängniskrankenhaus in Santiago und ist hoffentlich seither am Kohle schaufeln in der Hölle.
Nicht die Vergangenheit von der Colonia Dignidad interessiert uns, das Schreckliche ist passiert, kann nachgelesen, gesehen und nicht geändert werden, nein, das Jetzt und die Zukunft der Menschen, die immer noch hier leben möchten wir verstehen. Es sind 110 an der Zahl, inzwischen Familien mit Kindern, die im Dorf Villa Baviera leben.
200 chilenische Angestellte hat der Grossbetrieb und auch das ältere Semester der Deutschstämmigen arbeitet, so gut es geht, noch mit. Die Jüngeren Opfer sind heute zwischen 45 und 55 Jahren, arbeiten entweder im Dorf Baviera oder haben sich extern eine Existenz aufgebaut. 2/3 sind zurück nach Europa.
Heute ist Aktionär-Versammlung und so lernen wir den 52 jährigen Dirk kennen. Er ist im Dorf geboren, Präsident und muss die Zukunft des Betriebes sichern. Alle sprechen sie Deutsch. Viele der einstigen Anhänger kommen auf uns zu, erzählen von der Vergangenheit, den Zukunftswünschen, aus ihrem Leben.
Wir machen eine 3 stündige Führung mit dem 62 Jahre alten Jürgen. Auch sein Kredo ist „nach vorne schauen.“ Doch bei der Besichtigung des Museums, seinen Erklärungen der Fotos und Gegenstände kommen bei ihm Emotionen hoch und wir spüren seine tiefen Verletzungen des Missbrauchs und der Folter. Er beantwortet all unsere Fragen sehr offen.
Aus Presseberichten lesen wir von der Negativ-Energie auf dem ganzen Gelände Baviera. Wie kann ein Negativ-Feld aus Missbrauch, Folterung, Tötung (Pinochet Gegner) und Verletzung geändert werden? Mit positiven Gedanken, mit Blick nach vorne, mit optimistischen Menschen, mit Liebe, Zuneigung, guten Erlebnissen und Zuversicht ohne dabei die Vergangenheit zu vergessen oder gar zu verdrängen. Und genau das ist der Wunsch der heutigen Bewohnern deren positiver Wille überall spürbar ist.
Jürgen, eines der Schäfer-Opfer, vor der Gedenktafel der gefolterten Pinochet Gegner.
Kann man die Vergangenheit ausblenden, ist der ganze Betrieb erfreulich, landschaftlich sehr schön und rentabel.
Spital wo die Kinder mit Elektroschock und Psychopharmaka gefoltert wurden.
Auf der ganzen Weiterfahrt lässt uns die Geschichte von Paul Schärfer und seinen Getreuen nicht los und wir diskutieren lange über unseren 24 h Aufenthalt im Dorf Baviera, unsere Eindrücke, die Lebensgeschichten der Betroffenen, die Zukunft der Menschen. Wir wünschen ihnen alles Gute, sie haben es mehr als verdient.
Dem Pazifik entlang treffen wir in Pichilemu Marlis und Kurt wieder. Die weitere Route wird besprochen.
Es gibt schöne Päärchenfotos wenn man zu viert reist.
Kalt und regnerisch ist es noch immer.
Fazit der Woche: Emotional aufwühlend
Geschichten die bewegen, Vergangenheit, Gegenwart und es ist unmöglich nachvollziehen warum der Mensch so grausam ist.
Aufstehen, vorwärts schauen , Mut und Kraft wünschen für alle die es brauchen. Allseits gute Fahrt!